Musiker mussten 40 000 Euro Eigenleistung für das renovierte Gemeindehaus einbringen
Die Abendsonne strahlt in den großen Raum. Ingrid Bauschert beendet gerade den Klarinettenunterricht mit einer ihrer Schülerinnen im Deilinger Gemeindehaus. „Seit hier renoviert wurde, macht es viel mehr Spaß zu unterrichten“, schwärmt die Musiklehrerin. „Die Akustik ist besser, es ist heller und wir haben viel mehr Platz.“ Sie spricht damit den fast 80 Musikerinnen und Musiker des Musikverein Deilingen aus der Seele.
Im Frühsommer 2019 hatten sie genug von der Enge und dem schmalen Treppenhaus im alten Probelokal, das den Transport von großen Instrumenten in das Obergeschoss jedes Mal zur Tortur werden ließ. Doch das fast 150 Jahre alte, noch gut erhaltene Gebäude leer stehen zu lassen, war keine Option für Bürgermeister Alwin Ragg. Er wollte, dass ein künftiger Gemeinschaftsraum neben dem Musikverein auch anderen Nutzern zur Verfügung gestellt wird und eigene Veranstaltungen der Gemeinde darin stattfinden könnten. Die Gemeinde stimmte zu und setzte darauf, das Gebäude einer energetischen Modernisierung zu unterziehen und zu erweitern.
„Wir haben als Gemeinderat die Planung für den 100 Quadratmeter großen Anbau an das Gemeindehaus von Anfang an mit dem Musikverein entwickelt und das Bau-Team des Vereins eingebunden. Viele Details wurden gemeinsam diskutiert und im Einvernehmen entschieden“, blickt Ragg zurück. Diese gute Zusammenarbeit mit der Gemeinde, bei der sie ihre Wünsche und Anregungen einbringen durften, heben der erste Vorsitzende Tobias Schätzle und Ausschussmitglied Thomas Koch hervor. Zusammen mit Christoph Reiner und Helmut Hermle bildeten die vier Musikanten das „Organisationsteam“ für das Projekt.
Vorab fand eine Infoveranstaltung für alle Musikanten statt. Bei einer Bausumme von 400 000 Euro, von denen der Verein zehn Prozent selber tragen muss, galt es die Bereitschaft zur Mithilfe abzufragen. „40 000 Euro sind für einen kleinen Verein viel Geld. Uns war klar, dass wir die Summe nur durch Eigenleistungen mindern können“, sagt Koch. Was folgte, war eine beachtliche Gemeinschaftsaktion, die zwei Jahre dauerte und 3500 Stunden ehrenamtlicher Arbeit in Eigenregie bedeutete.
Der Verein kann sich glücklich schätzen, so viele Handwerker in den eigenen Reihen zu haben. Vom Elektriker, über den Maler bis zum Zimmermann: „Fast in jedem Gewerk hatten wir einen Fachmann“, erzählt Thomas Koch nicht ohne Stolz. Wer nicht vom Fach war, konnte in vielen Bereichen angelernt werden. „Viele staunten über sich selbst, weil sie zum ersten Mal in ihrem Leben Rigipsplatten angebracht hatten oder eine Wand verspachtelten“, sagt der Vorsitzende.
Zudem besaßen manche Musikkameraden nicht nur Instrumente, sondern auch einen Bagger, Radlader oder einen Traktor. Über Doodle-Umfragen und in WhatsApp-Gruppen koordinierte Thomas Koch die Arbeitseinsätze, Tobias Schätzle fungierte als Bindeglied zwischen Verein und Bürgermeister. Gearbeitet wurde mindestens zweimal die Woche abends und jeden Samstag.
Der ganze Verein fühlte sich angesprochen. „Auch unsere Frauen halfen tatkräftig mit, genauso wie die jungen und älteren Mitglieder“, sagt Tobias Schätzle. „Der älteste Musikant, Friedrich Baier, war gleichzeitig auch der älteste Handwerker. Der 74-Jährige ließ es sich nicht nehmen, fast die gesamten Malerarbeiten auszuführen.
Die Bauphase fiel in die Corona-Zeit, was für die Musikanten Fluch und Segen war. Einerseits waren sie frustriert, weil keine Proben stattfanden. Andererseits freuten sie sich darüber, sich wenigstens auf der Baustelle treffen zu können, wenn auch coronabedingt mal nur zu zweit, zu fünft oder zu zehnt. „Man musste nie betteln, die Leute hatten Zeit zu helfen“, sagt Thomas Koch. Auch mit dem Baumaterial habe es geklappt, noch gab es keine Lieferengpässe.
Der Probebetrieb läuft seit fast einem Jahr wieder. Den besseren Sound dank der Akustikdecke genießen die Musikanten ebenso wie die großzügigen Räumlichkeiten und den Aufzug. Unweigerlich schweifen die Gedanken ab und zu zurück. Als vor drei Jahren alles herausgerissen wurde, war teils nur noch das nackte, meist krumme Gebälk zu sehen. Die Musiker stimmen deshalb Giovanni Fascia wohl gerne zu: Bei der Eröffnung sprach der Diakon von einem „Bauwunder“.